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Phase 2 – Entwicklung und Ableitung einer Erklärungs- und Interventionstheorie
Um die Logik einer zu entwickelnden Maßnahmen zu verstehen, soll zunächst auf das Gesetz der indirekten Wirkung eingegangen werden. Sie stellt ein Grundprinzip des Planungsprozesses dar.
Nach dem Gesetz der indirekten Wirkung beeinflusst eine Maßnahme nicht direkt die adressierte Gesundheitsdeterminante (hier am Beispiel des Bewegungsverhaltens) sondern vorangestellte Einflussfaktoren, die wiederum die Gesundheitsdeterminante (hier: Bewegungsverhalten) einer Person beeinflussen. Nur über den Umweg einer Veränderung dieser Einflussfaktoren lässt sich die eigentliche Veränderung in der Gesundheitsdeterminante erklären. Und wie in der Problemanalyse in Phase 1 dargestellt wird sich die Veränderung in der Gesundheitsdeterminante langfristig auf eine Steigerung der Gesundheit auswirken. Dieses Gefüge ist nachfolgend in der Abbildung dargestellt.
Gesetz der indirekten Wirkung (eigene Darstellung)
Aufstellung einer Erklärungstheorie
Um dem Gesetz der indirekten Wirkung zu entsprechen, müssen nun alle möglichen Einflussfaktoren auf die in Phase 1 identifizierte Gesundheitsdeterminante einbezogen werden. Dies gelingt erneut durch
  • Brainstorming
  • Recherche von Daten
  • oder durch eigene Erhebungen, z. B. Befragungen. Um beispielsweise die Einflussfaktoren auf die Gesundheitsdeterminante „Bewegungsverhalten“ zu identifizieren, wird mittels qualitativer Verfahren und Bürger:innenbeteiligungsverfahren, wie einem Stadtteilspaziergang oder Photovoice, der weitere Einflussfaktor „Bewegungsfreundlichkeit der Wohnumgebung“ aus Sicht der Kinder und Jugendlichen erfasst. Zur objektiven Beurteilung der Bewegungsfreundlichkeit der Wohnumgebung kommt zudem das Audit KomBus zum Einsatz.

Beispiel:
Was beeinflusst das Bewegungsverhalten von Kindern und Jugendlichen im Stadtteil?
Antworten:
  • Motivation der Kinder und Jugendlichen
  • Wissen um Bewegungsangebote und Bewegungsmöglichkeiten
  • Vorbildverhalten von Familienangehörige und Freunde, die Sport treiben, sich gerne draußen bewegen und/oder mit dem Rad oder zur Fuß zur Schule fahren/gehen
  • Vorhandensein von Bewegungsangeboten z. B. von Sportvereinen
  • Vorhandensein von Gehwegen oder Radwegen
  • Vorhandensein von Spielplätzen, Sportplätzen, Grünflächen oder anderer Bewegungsmöglichkeiten im Freien
  • Etc.

Aufstellung einer Interventionstheorie
Nachdem die Einflussfaktoren auf die Gesundheitsdeterminante identifiziert sind, stellt sich nach dem Gesetz der indirekten Wirkung die Frage, wie eine zu entwickelnde Maßnahme aussieht, dass Sie die Einflussfaktoren verändern kann. Also in dem hier gewählten Beispiel wurden als Einflussfaktoren, einerseits das Wissen um Spielplätze von Kindern bzw. deren Familienangehörigen und andererseits die Veränderung der Wohnumgebung hinsichtlich einer Verfügbarkeit vielfältiger Bewegungsmöglichkeiten wie Spielplätze identifiziert/gewählt. Doch wie kann das Wissen bzw. die Veränderung der Wohnumgebung nun hergestellt werden?
Gesetz der indirekten Wirkung mit gewähltem Einflussfaktor „Wissen“ (eigene Darstellung)
Gesetz der indirekten Wirkung mit gewähltem Einflussfaktor „Verfügbarkeit vielfältiger Bewegungsmöglichkeiten“ (eigene Darstellung)
Deshalb geht es nun darum Maßnahmen abzuleiten, die passgenau eine Veränderung in den Erklärungsfaktoren der Gesundheitsdeterminante hervorrufen. Also im oberen Beispiel muss eine passende Maßnahme für die Steigerung des Wissens abgeleitet werden. In der Interventionsplanung wird in diesem Schritt von der Aufstellung einer Interventionstheorie gesprochen. Diese setzt sich zusammen:
  • aus der passenden theoriegeleiten Methoden für eine Veränderung des Einflussfaktors (hier Wissen) UND
  • einer praktischen, kreativen Umsetzung der ausgewählten Methode. In der Literatur werden hierzu einige Hilfestellungen gegeben und bereits passgenaue theoriegeleitete Methoden und beispielhafte Maßnahmen vorgestellt. Für Beispiele aus der kommunalen Bewegungsförderung haben wir eine Tabelle zusammengestellt. Diese finden Sie hier.

Kurze Hinweise zur richtigen Anwendung der Tabelle:
  • Es muss Klarheit über die ausgewählten Einflussfaktoren auf das Gesundheitsverhalten (hier: Bewegungsverhalten) bestehen.
  • Überprüfung Tabelle zu den ausgewählten Einflussfaktoren.
  • Für jede in Betracht kommende theoriegeleitete Methode sind die Definition und die Rahmenbedingungen zu prüfen, um festzustellen, ob die Methode unter den gegebenen Umständen überhaupt Sinn macht.
  • Verwendung der in den Tabellen enthaltenen Hinweise zu den Theorien, um sich ggfs. weiter zu informieren.
  • Wiederholung dieser Schritte für alle Einflussfaktoren, bis Methoden zur Behandlung aller Einflussfaktoren ermittelt wurden.
  • Aus den Methoden sind kreative Maßnahmen abzuleiten und in die Praxis zu bringen.

Dadurch lässt sich das Schaubild wie folgt erweitern. Im ersten Fall wurde die Methode Advanced Organizer und im zweiten die Methode des Agenda Settings gemäß der Tabelle eingesetzt und jeweils in eine konkrete Maßnahme überführt:
Erklärungs- und Interventionstheorie (eigene Darstellung)
Um die Entwicklung und Ableitung einer Erklärungs- und Interventionstheorie noch greifbarer (nach innen und außen) und überprüfbar zu machen, empfiehlt es sich in einem parallel abgestimmten Prozess der
1. Formulierung einer Vision
2. Formulierung eines übergeordneten Projektzieles, zugehöriger Teilziele und Indikatoren.
Konkrete Arbeitsschritte:
1. Formulierung einer Vision, von Projektzielen, Teilzielen und Indikatoren für das Projekt
Sind Einflussfaktoren auf das Gesundheitsproblem, Zielgruppe und relevante Akteur:innen ausgewählt, können nun eine Vision, ein übergeordnetes Projektziel, zugehörige Teilziele sowie Indikatoren festgelegt werden. Ziele verdeutlichen gemeinsame Vorstellungen und tragen so zum Team-Building im Projekt bei. Sie sind darüber hinaus relevant für die Ableitung passgenauer Maßnahmen und die abschließende Beurteilung des Projekterfolgs.



Vision:
  • Mittel- oder langfristig zu erreichen
  • Eher allgemeine (Ideal-)Vorstellung erwünschter Zustände
  • Perspektive, die über das Projekt hinausgeht
  • Die Ausrichtung mehrerer Projekte auf eine gemeinsame Vision erhöht den gemeinsamen Effekt und die nachhaltigen Wirkungen, die über das einzelne Projekt hinausgehen

Beispiel Vision:
Schaffung einer gesunden und bewegten Kommune, in der Kinder und Jugendliche die Nationalen Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung erreichen und sich die Anzahl an Kindern und Jugendlichen mit Übergewicht reduziert.

2. Projektziel und Teilziele:
  • Sind für Außenstehende eindeutig und nachvollziehbar anhand von SMART-Kriterien zu formulieren und sollten bis Ende des Projektes erreichbar und beurteilbar sein
  • Sind kurz bzw. mittelfristig zu erreichen
  • Unterscheidung in übergeordnetes Projektziel und Konkretisierung durch Teilziele

Beispiel für ein übergeordnetes Projektziel:
Im Stadtteil wird das Bewegungsverhalten (z. B. draußen spielen, spazieren gehen, inlineskaten usw.) von Kindern und Jugendlichen erhöht, sodass 40% der Kinder und Jugendlichen die Nationalen Bewegungsempfehlungen bis zum 31.12.2025 erreichen.

Beispielhafte Teilziele:
  • Kinder spielen jeden Tag (mehr) draußen
  • Kinder und Jugendliche nutzen täglich das Fahrrad
  • In der Wohnumgebung werden Bewegungsflächen (z. B. Aufbau eines Spielplatzes im Stadtteil) zur Verfügung gestellt
  • Bewegungsangebote für Kinder und Jugendliche entlang der Bewegungsflächen

Um später das Projekt evaluieren zu können, lohnt es sich bei der Formulierung der Ziele bereits über sogenannte Indikatoren nachzudenken. Diese ermöglichen es, die Zielerreichung messbar zu machen.
Zu beachten gilt, dass gegebenenfalls bereits vor Beginn der Maßnahme Daten zur Ausgangssituation erhoben werden sollten. So ist es später möglich, einen Vorher-Nachher-Vergleich zu ziehen.

Indikatoren sind:
  • Messbare Größen bzw. Sollwerte, die zur Bewertung der Interventionsergebnisse herangezogen werden
  • „Harte“ Faktoren, die sich verändern sollen (z. B. BMI der Kinder und Jugendlichen, Bewegungsverhalten)
  • „Weiche“ Faktoren, die sich verändern sollen (z. B. Zufriedenheit der Kinder und Jugendlichen mit der Wohnumgebung, mehr Wissen über das Vorhandensein von Spielplätzen oder Radwegen)

Beispielhafte Indikatoren:
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